Zur Besinnung

Warum ich die Passionszeit mag
Das große Kruzifix auf dem Altar der
Heinersreuther Kirche beherrscht den
Raum so sehr, dass es manche sogar
als störend empfinden.
Zur Zeit seiner Entstehung im Jahr
1937 war es ein politisches Statement:
Gegen den Nazi-Kult um Härte,
Gesundheit und Jugend stellte man mit
unmissverständlicher Symbolik das
Bild des leidenden Christus.
(Foto: Susanne Guggemos)
Wäre es nicht schön, wenn das ganze Jahr Weihnachten wäre? Wenn
alle unsere Wünsche in Erfüllung gingen und wir vor aller Traurigkeit bewahrt
würden? Wir wissen nur zu gut: Das Leben ist nicht so. Und doch
stellen sich viele Gott so vor: Als wäre er dafür zuständig, dass es uns
gut geht, dass alle unsere Wünsche in Erfüllung gehen, und dass uns
kein Unglück trifft.
Aber so einfach ist es halt nicht. Immer wieder verstehen wir Gott nicht,
immer wieder können wir nur klagen und fragen, warum? Ich mag die
Passionszeit, weil sie so ehrlich ist: Es ist nicht immer alles gut. Es gibt
auch die dunklen, traurigen Tage. Es gibt Not und Leid, wo einem die
Worte fehlen.
Die Passionszeit ist ein Statement: Auch das Leiden gehört zum Leben
dazu. Es völlig legitim zu sagen: Ich verstehe nicht, warum Gott etwas
zugelassen hat. Es ist erlaubt zu zweifeln und zu hadern.
Jesus hat am Kreuz gebetet: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen?
Ich glaube nicht, dass Gott uns vor jeder Traurigkeit schützt. Das ist eine
Illusion. Eine gefährliche Illusion sogar, denn sonst wäre er ja nur ein
Gott der Starken und der Gesunden. Es ist aber nicht so. Die Bibel erzählt
von Schwachen und Kranken, davon, wie sie gelebt und geglaubt
haben, davon, wie sie gebetet, geklagt und mit Gott gerungen haben.
Die Götter der Heiden waren Götter der Reichen, der Starken und der
Schönen. Wer einem Odin folgte, oder einem Zeus, der musste erfolgreich
sein, wer zu Thor gehörte, stark, und wer an Venus glaubte, schön.
Für Schwachheit war da kein Platz. Es ist gut, dass wir diese Religionen
hinter uns gelassen haben.
Das Zeichen der christlichen Religion ist das Kreuz. Ein antikes Folterwerkzeug
wurde unser Zeichen, weil Jesus, unser Heiland, am Kreuz
umgekommen ist.
Das bedeutet gleichzeitig: Unser Gott ist den Schwachen ganz nahe.
Wer leidet und krank ist, der darf wissen: Gott ist auf seiner Seite.
Mit dem Kreuz bekennen wir uns zu dem Gott, der nicht ein Gott der
Starken ist, sondern der auf der Seite der Schwachen steht, auf der
Seite der Unterdrückten, der Leidenden. Wenn wir auf unseren Gräbern
Kreuze aufstellen, dann erinnern wir daran: Jesus Christus ist mit uns
und für uns gestorben – damit wir mit ihm neues Leben haben.
Darum mag ich die Passionszeit: Das Leid – und damit die Menschen,
die leiden – würden wir ja immer gerne abschieben und vergessen. Die
Gescheiterten, die Behinderten, die Alten und die Kranken, sie stören
unsere heile Welt. Die Passionszeit erinnert uns daran: Wir leben in einer
Welt, in der es das Leid noch gibt. Leider! Wir müssen das akzeptieren.
Aber wir glauben: Gott ist den Leidenden genauso nahe wie denen,
denen alles glückt. Lasst uns das nicht vergessen.
Eine gesegnete Passionszeit wünscht Ihr Pfarrer Otto Guggemos